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Es freut mich natürlich sehr, wenn meine Werke reichlich gelesen werden und unterhalten oder zum Nachdenken anregen. Natürlich sind auch immer wieder gut gemeinte Kritiken erwünscht!

Sonntag, 13. Oktober 2013

Die Geschichte der Freundschaft

oder auch  
„Der Junge, der auszog, um einen Freund zu finden“

Eine Kurzgeschichte
Kategorie: Märchen
Herbst, 2011
 

Das Kerzenlicht flackerte, als ein nächtlicher Frühlingshauch durchs offene Fenster wehte. Ein Junge, vielleicht fünfzehn Sommer alt, also schon fast ein junger Mann, saß in seiner Kammer, den Blick und den Geist einer spannenden Geschichte gewidmet. Rasch flogen seine Augen über die Seiten des Buches, sogen jedes Wort auf, als ob es die letzte Nahrung für die nächsten Wochen wäre. Er las schon so lange, dass er nur einmal aufblicken musste, um eine Kerze zu entflammen, als der Tag zur Nacht wurde.
Draußen war es mittlerweile kühl und still geworden. Die Bauern hatten schon lange die heutige Feldarbeit erledigt und ruhten nun aus für den nächsten Tag. Kinder, die draußen, frohgelaunt nach Ende der Dorfschule, gespielt hatten, lagen schon längst in den Federn und erlebten die süßesten Träume, wie sie nur Kinder haben können. Händler hatten ihre Läden geschlossen, stellten das Marktgeschrei ein und begaben sich, müde vom Anpreisen ihrer Waren, in ihre Betten. Der Klatsch der Waschweiber, die Geräusche der Viehherden, Flötenklänge des musizierenden Nachbarmädchens und weitere Laute des täglichen Treibens waren verstummt. Doch in der Fantasie des Jungen spielte sich eine andere, dem Alltag ferne Handlung ab.
In seinem Kopf entstanden die schönsten Täler, die mächtigsten Berge, die tiefsten Meere, die dunkelsten Gruften, die prachtvollsten Städte, die weitesten Wüsten, die eisigsten Schneelandschaften und jeder andere noch so aufregende Ort. Das Buch erzählte von zwei Jungen - oder noch genauer: von zwei Freunden, die an solchen Orten, die mysteriösesten und spannendsten Abenteuer durchstanden. Sie trafen Leute, gute und böse; auch neue Freunde, doch diese kamen und gingen und nur die beiden Jungen blieben beieinander.
Gerade als sie kurz davor waren einen Schatz zu finden, schloss der lesende Junge das Buch. Er blickte in die Nacht hinaus und betrachtete den Mond, der einen silbrigen Schleier auf den Wald und die Dächer legte.
Ein Freund, dachte der Junge aufgeregt nach. Ein trauriges Lächeln umspielte seine Lippen, bevor er die Kerze ausblies und sich den anderen Bewohnern anschloss, um auch ins Reich der Träume zu gelangen.
Am nächsten Tag war es die Sonne, die ihn weckte. Lange lag er noch wach in seinem Bett, während er die Decke anstarrte und sich seinen nächtlichen Traum wieder ins Gedächtnis rief: Er glaubte den Schatz aus der Geschichte gefunden zu haben. Doch war es nicht das Gold, die Edelsteine und all die anderen kostbaren Reichtümer, die sein Herz warm werden ließen, sondern das freundschaftliche Gefühl, das er empfand, als ihn die beiden Jungen aus dem Buch umarmten und einen Freudentanz anstimmten.
Nachdem er mit seinen Eltern zu Morgen aß, erzählte er ihnen von einem spontanen Plan, den er sich ausgemalt hatte. Er wollte losziehen, um zu erfahren, ob die Freundschaft, wie sie im Buche stand, auch Wirklichkeit werden konnte. Er wollte erfahren, was man erwarten darf, wenn man einen Freund hat. Er wollte einen wahren Freund finden. So bat er seine Eltern um Erlaubnis und diese willigten ein, die Sehnsucht des Jungen erkennend.
So zog er noch am folgenden Mittag los und trug nur das bei sich, was er wirklich brauchte. Da ließ er zum ersten Mal das Dorf, seine Heimat, ja sogar einen Lebensabschnitt hinter sich.
Als er an den Waldrand kam, hörte er das Bellen eines Hundes. Erschrocken wich er zurück, als dieser plötzlich aus einem Busch sprang, kläffend auf ihn zugerannt kam, ihn ansprang und zu Boden warf. Aber nur um sein Gesicht abzulecken. Lachend versuchte der Junge den verspielten Hund aufzuhalten, bis dann auch sein Herrchen, der Jäger, kam. Der Jäger entschuldigte sich, doch der Junge versicherte ihm, dass alles in Ordnung sei.
„Sag, Jäger!“, sprach der Junge. „Was ist für dich ein wahrer Freund?“
„Ganz sicher, mein Hund! Obwohl er mir etwas zu verspielt sein mag, kann ich während der Jagd auf ihn zählen. Er ist mein bester Freund, da er mir immer treu ist.“
„Treu?“
„Treu!“
„Danke, Jäger! Ich ziehe weiter! Guten Tag!“
So ging der Junge weiter. Als er den Pfad am Waldrand eine Weile ging, hörte er das knarrende Wasserrad der Mühle. Da dem Jungen die Füße weh taten, klopfte er an der Tür des Müllers, der öffnete und ihn gerne für eine Nacht Unterkunft gewährte. Beim Abendessen kam auch der Müllerbursche hinein zu Tisch und als sie alle gespeist hatten, sprach der Junge: „Sag, Müller! Was ist für dich ein wahrer Freund?“
„Ganz sicher, mein Gehilfe! Obwohl er manchmal dumme Fragen stellt, ist er doch immer bemüht seine Arbeit ordentlich zu machen, was ihm auch gelingt. Er ist mein bester Freund, da er ein hilfsbereiter Bursche ist.“
„Hilfsbereit?“
„Hilfsbereit!“
„Danke, Müller! Ich mag mich jetzt zu Bette legen, um morgen mit der Sonne weiterziehen zu können.“
So ging der Junge ins Gastzimmer und schlief ein, begleitet von süßen Träumen. Nachdem die Sonne am nächsten Morgen hinter den Hügeln emporstieg, war der Junge auf den Beinen. Zum Abschied winkte er dem bereits schuftenden Müller und seinem Lehrling zu. Als er auf den Pfaden des Waldes ging, fing es an zu regnen, so plötzlich, dass der Junge sogar erschrak. Schnell lief er weiter, bis er bei einer Waldlichtung auf eine kleine Holzhütte traf. Durch die Fenster sah er Licht und so eilte er schnell zur Tür und klopfte. Eine schwache Stimme, die er beinahe überhörte, bat ihn herein. In einem großen Bett lag ein bleicher Mann, der sehr krank zu sein schien. Der Junge nahm sich einen Stuhl und setzte sich zu dem Kranken.
„Ach, mein Leben erlischt“, seufzte der Kranke und nahm die Hand des Jungen. „Mein Freund eilte los, um den Heiler zu holen, doch er wird zu spät kommen. Ach, mein Freund!“
„Sag, guter Mann!“, sprach der Junge. „Was ist für dich ein wahrer Freund?“
„Ganz sicher, dieser! Obwohl er mich selten besucht, ist er doch in schlimmen Zeiten wie diesen ein guter Beistand. Er ist mein bester Freund, da er so fürsorglich handelt.“
„Fürsorglich?“
„Fürsorglich!“
Der Kranke sank sanft in den ewigen Schlaf und der Junge blieb noch eine Weile, ein paar Abschiedsworte dem Mann schenkend, den er nur kurz kennenlernte.
Da ist er nur ein kleines Stück gereist und hat schon so einiges gelernt. Treue, Hilfsbereitschaft und Fürsorglichkeit; alles Eigenschaften eines wahren Freundes. Wenn er weiter reist, wird er bestimmt noch mehr erfahren. Er strebte nun danach, den perfekten Freund zu finden; zu wissen was diesen ausmacht. Doch irgendwann muss er, wie der Freund dieses Mannes, von einem Seelenverwandten Abschied nehmen. Möchte er das? Mit diesen Gedanken verließ er das Haus.
So reiste er im Regen weiter, dem verstorbenen Mann seinem Frieden überlassend. Als er den Wald nun endlich hinter sich gelassen hatte, war er ganz durchnässt und fror. Heimweh plagte ihn, doch er konnte jetzt nicht umkehren. Nicht bevor er den perfekten Freund gefunden hatte, nicht bevor er überhaupt wusste, wie ein perfekter Freund sein muss.
So kam es, dass er sich vor Kälte geschwächt unter einer großen Trauerweide hockte, die am Ufer eines Flusses stand. Erschöpft drohte er einzuschlafen und sich seinem Schicksal hinzugeben, als der Klang von Pferdehufen an sein Ohr drang. Wenig später, der Junge konnte sein Glück nicht fassen, stand vor ihm ein weißes Kleinpferd. Sein Reiter war ein Junge seines Alters.
„Hilf mir!“, bat der frierende Junge. Der Andere half ihm auf sein Ross und ritt dann mit ihm zum nächsten Dorf.
Da wurde es nun Nacht, als der Junge mit seinem Retter an einem Tisch in einem Gasthaus saß.
„Sag, mein Retter!“, sprach der Junge, doch wurde von seinem Gegenüber unterbrochen, der bescheiden meinte: „Ich verdiene doch keinen Ruhm für eine menschliche Tat!“
Leicht säuerlich, dass der Junge unterbrochen wurde, fing er von neuem an: „Sag! Was ist für dich der perfekte Freund?“
„Komische Frage!“, bekam er kichernd als Antwort.
Der Junge war entsetzt. Eben noch glaubte er einen Freund gefunden zu haben und jetzt war dieser so merkwürdig zu ihm. Diese Art mochte er nicht. Das sagte er seinem Retter auch ins Gesicht, doch dieser ließ sich nicht beeindrucken: „Du möchtest also wissen, was für mich ein perfekter Freund ist?“
„So sagte ich es bereits!“, stöhnte der Junge.
„Ein perfekter Freund ist für mich jemand, der mich schätzt wie ich bin und meine gute Seite über meine Gewohnheiten, so nervend sie auch sein mögen, stellen kann. Er selber darf auch seine Fehler haben, denn was er mir gibt, gebe ich ihm. Man darf sich streiten, muss aber auch vergessen, verzeihen. Ich muss ihn nämlich auch wertschätzen und tolerieren.“
Da war der Junge still. Betroffen blickte er zu Boden.
„Wertschätzung und Toleranz“, murmelte er leise.
„Wertschätzung und Toleranz!“
Zum Beginn meiner Reise habe ich einen Freund gesucht. Dann habe ich mich gefragt, was ein wahrer Freund ist. Und dann? Ich habe den perfekten Freund gesucht. Dabei habe ich nie daran gedacht, was ich dazu beisteuern muss. Da fällt mir ein: Der Jäger, der Müller und der Kranke. Sie alle nehmen auch die schlechten oder unangenehmen Seiten ihrer Freunde hin. Was war ich für ein Narr?
Lächelnd betrachtete sein Gegenüber ihn beim Denken. Dann klopfte er ihm auf die Schulter, blickte ihm in die Augen. Der Blick. Dieser Blick. Freundschaftlicher Blick.
„Ich will es versuchen! Lass mich dein Freund sein!“, sagte der Junge entschlossen. „Ich möchte dir immer treu sein, dir helfen, wenn du in Not bist, dir in schlimmen Zeiten zur Seite stehen, dich akzeptieren und tolerieren; und dich bis in den Tod begleiten.“
Eine freundschaftliche Umarmung folgte. Er gewann einen Menschen in seinem Leben. Einen Freund. Den für ihn perfekten Freund.
So gingen sie ihre Wege von nun an zusammen, erlebten Abenteuer, durchstanden harte Zeiten und trafen Leute, gute und böse; auch neue Freunde, doch diese kamen und gingen und nur die beiden Jungen blieben beieinander.

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Nachwort:
Die Freundschaft ist für mich eines der interessantesten Themen in der Literatur überhaupt, denn sie verleiht einem Werk immer etwas Besonderes. Sie kann uns tief berühren, wie beispielsweise die innige Treue Sam's, die er Frodo gegenüber aufweist ("Der Herr der Ringe" - J.R.R. Tolkien); oder sie bringt uns zum Lachen, wenn wir einen tollpatschigen Gefährten eines Protagonisten kennenlernen.
Jedenfalls wollte ich diese Kurzgeschichte mit Moralcharakter damals einfach schreiben, eben aus dieser Begeisterung für das besondere Band zwischen zwei Menschen. Es war zudem mein erster Versuch einen etwas märchenhaften Stil anzulegen.
- Der Traumpilger (13.10.2013)

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